Unsere eigenen Erfahrungen

Eine persönliche Erfahrung (Clara)

Diese Frage beschäftigt mich schon sehr lange, weil ich am eigenen Leibe erlebt habe, wie es ist, nicht ganz wie die anderen zu sein… Doch in meinem Falle schien keine Inklusion möglich zu sein.
Als ich sieben Jahre alt war, kam ich mit meiner Zwillingsschwester in die Schule. Die ersten Schuljahre waren für sie und mich sehr schön. Wir wurden zu Geburtstagen eingeladen und haben mit all den anderen Schülern zusammen in den Pausen gespielt und getobt. Auch im Lernen konnten wir gut mit allen mithalten.

Doch später dann, und besonders ab der achten Klasse, habe ich gemerkt, dass ich anders bin, als die anderen. Auch wurden meine Schwester und ich von den Mitschülern weniger akzeptiert oder in die Klasse mit einbezogen. Wir waren oft allein und abseits. In dieser Zeit fing es an, dass ich darüber nachdachte, warum es so sein könnte.

Es wurde oft gefragt, warum ich so klein bin – denn wir wuchsen nicht in dem Maße wie die anderen Schüler. Aber das fiel in den ersten Jahren ja nicht so auf. Und meine Antwort war immer: „Kann ich dir auch nicht sagen. Was ich dir aber sagen kann ist, dass ich mich nicht klein fühle, sondern groß.“ Mehr und mehr wurden wir von den Mitschülern ausge- grenzt. Wenn ich das mit dem oben gezeigten Schema benennen sollte, müsste ich sagen, wir wurden nicht integriert oder inkludiert, sondern fanden uns in einer Exklusion und Separation.

Von meinen Pflegeeltern erfuhren wir dann, dass durch unsere leibliche Mutter wir eine Erkrankung haben, die als „fetales Alkoholsyndrom“ bezeichnet wird. Und dann verstan- den wir auch, warum wir zuvor in unserem Leben so oft bei einem Professor waren…

Unter der ganzen Situation haben wir nicht das leisten können, was uns eigentlich mög- lich war. Ich wurde stiller und stiller und zog mich dann schließlich auch selbst mehr zurück. Ein Glück war es da, dass ich mit meiner Schwester zusammen sein konnte.

Besonders bedrückte mich damals, dass auch viele Lehrer uns einfach nicht verstanden haben, sondern uns nur nach dem so erst entstandenen Verhalten beurteilten. Das war für mich und meine Schwester sehr deprimierend.

Unsere Pflegeeltern haben zusammen mit den Klassenlehrern der Schule versucht, unsere Situation zu verändern und auch die Mitschüler einzubeziehen. Doch es gelang nicht, dass wir uns in einer inklusiven Klasse fanden…

Aus diesen Erfahrungen habe ich mir jetzt Gedanken gemacht, ob man eine Diagnose braucht, um selbst verstehen zu können, was mit einem geschieht – oder ob sie vielleicht auch hinderlich sein kann. Diese Überlegungen möchte ich hier noch anschließen:
Die Diagnose ist die Feststellung einer körperlichen oder psychischen Beeinträchtigung. Habe ich eine bekommen, weiß ich warum ich so bin wie ich bin. Warum habe ich immer Angst, warum schauen mich diese Menschen immer so an, warum fällt mir das Rechnen so schwer in der Schule, warum schlafe ich immer so schlecht ein?

Wenn ich eine genaue Diagnose habe, dann weiß ich, was ich habe und kann versuchen, damit umzugehen. Für mich selber kann ich dann immer sagen, ich habe eine Diagnose und deswegen bin ich so wie ich bin. Entweder ich akzeptiere es und lebe damit oder eben auch nicht. In der Schule kann ich dann immer sagen, tut mir leid, ich kann es nicht so schnell begreifen, was sie mir erklären, sie kennen ja meine Diagnose, es fällt mir schwer mich zu konzentrieren.

Und so gibt es zwei Möglichkeiten im Leben: Entweder offen zu sein und ehrlich, oder nicht offen und ehrlich zu sein und immer mit einem schlechten Gefühl durch das Leben zu gehen. Dadurch, dass man sich „outet“, erhoffen sich viele Menschen Erleichterung im Leben. Manchmal bekommt man sie, aber es kann auch das Gegenteil passieren, dass man nur noch bemitleidet wird.

Ich habe mich, zusammen mit meiner Zwillingsschwester, erst sehr spät „geoutet“, mit 24 Jahren. Vorher haben wir zwar gemerkt und dann auch gewusst, dass wir „anders“ sind, konnten das aber gemeinsam verdrängen. Und wir haben uns zurückgezogen.
Ich frage mich, will man durch eine genaue „Diagnose“ vom Arzt immer nur mit Vorur- teilen kämpfen müssen?
Nein, das kommt für mich gar nicht in Frage, deswegen ist meine These: Nein, ich brauche keine „Diagnose“ vom Arzt, um glücklich zu werden. Mir stellt sich dann die Frage: was brauche ich als Mensch eigentlich, um glücklich zu sein?
Liebe, Respekt miteinander, Anerkennung und Gesundheit. Gesundheit ist sehr wichtig, jeder weiß, wie es ist krank zu sein, nicht im Gleichgewicht zu sein. Aus diesem Grund ist der Blick auf die Erhaltung der Gesundheit und der Blick auf meinen Körper so wichtig. Und ich brauche im Leben Klarheit, wo soll mein Weg hinführen, was möchte ich erreichen. Dafür brauche ich sehr viel Motivation.

Und in der Gemeinschaft mit Anderen brauchen wir jeden Tag den Austausch miteinander- der. Jeder kann Jedem an einem Tag etwas mit auf den Weg geben. Das kann ein Lächeln in der U-Bahn sein, es kann ein Motivations-Spruch sein wie „du schaffst das schon“, oder, „du bist auf einem guten Weg“. Oder, es kann einfach nur eine Geste sein, in welcher Form auch immer.

Was brauchen wir noch, um glücklich zu sein? Wir brauchen Feedback, das heißt wir brauchen eine ehrliche Meinung. Das bedeutet nicht, dass wir uns gegenseitig verletzen. Es soll dazu dienen, sagen zu dürfen, was mir gerade nicht gefällt und wie man zu einer Lösung kommen kann. Wenn man sich gegenseitig mit Liebe, Respekt und Anerkennung begegnet, gibt es mehr Menschen, die mit einem Lächeln durch das Leben gehen. Dann braucht man mit einer Diagnose vom Arzt nicht mehr mit Angst und Vorurteilen zu kämpfen, wie es bei mir der Fall war.

Zusammenfassend kann ich sagen: Ja, eine Diagnose vom Arzt kann einem helfen, aber dazu gehören viele Faktoren, die von außen stimmen müssen. Und vor allem muss man bei sich selber anfangen, mit oder ohne „Diagnose“. Wenn man bei sich selbst anfängt, sich zu hinterfragen, was ich tun kann, damit es mir und meinen Mitmenschen besser geht, dann schaffen wir gemeinsam als großes Team, dass wir ein glückliches, gesundes, fröhliches Leben führen können und dürfen.

Erfahrung in der Schule ( Luise)

Die Schule ist da bei mir ganz groß und dick markiert. Denn dort wurde das FSAD bei mir nie erkannt und daraufhin gab es immer wieder Streitpunkte zwischen mir und den Lehrern. Um genau das für andere Kinder und Jugendliche zu vermeiden, möchte ich mit meiner Facharbeit den Lesern und allen anderen die Augen für diese seelische Beeinträchtigung öffnen.
Ich möchte für mehr Förderung kämpfen, um anderen Betroffenen dann einen Weg zum selbstbestimmten Leben aufzuzeigen.
Für mich ist dieses Eisbergmodells eine gute bildliche Vorstellung für die Erklärung des Fetalen Alkohol Syndroms. Hier gibt es auch sichtbare und unsichtbare Bereiche.

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